Schon zu ihrer Hochzeit in den 70er Jahren waren Led Zeppelin um einiges größer als die Summe ihrer Teile. Eine Band, so schien es, wie gemacht, um das Schlagwort von der „Supergroup“ mit Leben zu füllen. Volle Stadien, ergebene Fans, die Touren im eigenen Flugzeug, dazu die Beats von Bonham, Pages unglaubliche Virtuosität an der Gitarre, die geniale Bass-Grundierung des oftmals unterschätzten John Paul Jones und die unverwechselbare, zu allem bereite Stimme des „God on a Golden Mountain“, Sänger Robert Plant. Nicht zu vergessen: das eiserne Regiment des wuchtigen Peter Grant, der für seine Band stets bereit war, jedes seiner vielen Kilo Lebendgewicht einzusetzen – bis heute der Archetypus eines Bandmanagers zwischen Genie und Wahnsinn.

IBIZASTYLE_JIMMYPAGE-008Wer 35 Jahre nach dem Ende von Led Zeppelin, anlässlich der großen Remasters-Offensive, versucht, sich noch einmal mit frischem Ohr den überlebensgroßen Songs zu nähern, wird aus dem Stand weggeblasen. Wenn das dann auch noch in der Gegenwart mit einem der Macher selbst passiert, ist der Boden bereitet für eine musikalische Geschichtsstunde, bei dem die Grenzen zwischen Journalist und Fan schnell verwischen. Zu einnehmend, zu einmalig ist die Gelegenheit, das Werk mit Jimmy Page, dem Meister persönlich, nicht nur zusammen zu hören, sondern auch gemeinsam zu erörtern.

Der Ort für diese Begegnung der ungewöhnlichen Art war mit sicherem Händchen gewählt. Im Berliner Meistersaal trafen sich im Mai zwei Dutzend handverlesene Journalisten, ein paar Representatives von Warner Records und Interview-Moderator Alan Bangs, die britische Radio-Legende mit Expertise zum Thema. Musikliebhaber schnalzen beim Meistersaal natürlich mit der Zunge: Es handelt sich beim holzgetäfelten Prunksaal um die ehemaligen Hansa-Studios, jenen Ort also, wo Bowie einst „Heroes“ einsang, Depeche Mode ihren Sound industrialisierten und U2 ihre Eindrücke der ehemaligen Inselstadt unmittelbar nach dem Mauerfall qua „Achtung Baby“ in Klang gossen.

Jimmy Page, mit lässigem schneeweißen Zopf, gekleidet in einen dunklen Anzug, abgerundet mit coolen Chelsea Boots, hat die ersten drei Alben von Led Zeppelin im Gepäck. Page selbst hat das Ganze produziert, neu gemastert und dafür einiges an Zeitaufwand geleistet. „Ich habe Hunderte von Tapes mit nach Hause genommen, Karton um Karton. Und dann wirklich alles durchgehört, um die besten alternativen Takes zu finden“, erzählt er lächelnd. Er hat Archive durchforstet, mit alten Weggefährten zusammen Bänder aus dem Keller hervorgeholt, selbst in Japan noch Bootlegs aufgetrieben, deren Material sich jetzt auf diesen Platten wiederfindet.

Es war also ein Heidenarbeit, die Page in dieses Projekt gesteckt hat – und wer auch nur den ersten Track hört, merkt umgehend: Die Arbeit hat sich gelohnt. Die opulenten Album-Boxen sind randvoll mit Demos, Outtakes, Live-Aufnahmen und eben den alternativen Takes der bekannten Originale. Unglaublich, wie dickhosig etwa Bonhams Beats bei „Good Times, Bad Times“ und „Communication Breakdown“ bollern. Bei „Gallow’s Pole“ meint man, Page förmlich in die Gitarre greifen zu können, „Whole Lotta Love“ schwingt und schwitzt, drängt sich nach vorn, als würde man mit den vieren in einem Raum stehen.

IBIZASTYLE_JIMMYPAGE-005Auf Ibiza dürften viele Fans diese Songs mit einer ganz besonderen Erinnerung hören, haben Page & Plant doch unabhängig voneinander auch hier ihre musikalischen Spuren hinterlassen. Robert Plant hatte anno 1985 hier das Video zu seiner Single „Sea of Love“ gedreht, im Jahr darauf erschien Page auf Eivissa, um eine klingende, unvergessliche Visitenkarte abzugeben. Seine zwischenzeitliche Band, The Firm, hatte sich gerade aufgelöst, für Page selbst bedeutete das natürlich nicht, die Gitarre in die Ecke zu stellen, im Gegenteil – der Saitenkünstler aus Leidenschaft machte einfach weiter. Und am 4. August 1986 tat er das im „Heartbreak Hotel“ in San Antonio. „Safe Sex“ nannte sich die Band, mit der Page damals jammte, im Line-Up niemand geringeres als John Bonhams Sohn Jason, dessen unglaubliches Spiel gut zwanzig Jahre später beim legendären Konzert für Labelboss Ahmet Ertegun in der Londoner O2-Arena für dicke Backen sorgte, dazu Mike Thompson am Gesang, und Dennis Le Bass und Phil Carson, die sich den Bass teilten. Letzterer vornehmlich bei ihrer Version des Klassikers „Lucille“.

Carson war es, selbst als Musiker bei einigen LedZep-Shows auf der Bühne im Einsatz und ein ehemaliger Labelmann von Atlantic Records, der Page für eine Show in dem von ihm geführten „Heartbreak Hotel“ verpflichtet hatte. Neben „Lucille“ bei diesem schweißtreibenden, unvergesslichen Gig auf der Setlist waren ausnahmslos Rock’n Roll-Classics: Darunter „I Just Wanna Make Love to You“, das an diesem Ort natürlich unverzichtbare und namensgebende „Heartbreak Hotel“, dazu „Baby Please Don’t Go“ und der Beatles-Klassiker „Money“.

Das Bild, was sich den Zuschauern bot, hätte ebenso gut von einem der legendären LedZep-Shows stammen können: Page mit wallender Mähne und schweißtriefendem Hemd, im Anschlag seine legendäre Telecoaster, die er nur für den Song „Lucille“ gegen eine Dan Electro tauschte.

Im Vorfeld des Gigs hatte es zunächst ein paar Unwägbarkeiten gegeben. Stein des Anstoßes war das Plakat. Page fand das von ihm gewählte Bild wohl ein wenig zu „sweaty“ und sich selbst darauf etwas zu aufgelöst.

IBIZASTYLE_JIMMYPAGE-021Die Folge: Es sollte ein neues produziert werden, am Ende mussten zwei Stunden ausreichen, um die abgesegnete Version zu drucken. Apropos Plakat: Aus heutiger Sicht mag der Name „Safe Sex“ etwas verstören, Mitte der 80er sah sich jedoch der vornehmlich nihilistisch ausgerichtete Teil der Popwelt im Fokus der Diskussion um HIV und den Folgen. Vielleicht nach den besonders ausschweifenden Jahren der LedZep-Ära ein bewusster Kontrapunkt zum expliziten Feierwahn der Rock-Gründerjahre.

Ein gutes Stichwort: Denn obwohl genau diese Gründerzeit bald ein gutes halbes Jahrhundert her ist, die Show auf Ibiza auch schon gute drei Dekaden, so sind die Protagonisten und ihre Sounds so aktuell und angesagt wie eh und je. Die unvermeidlichen Fragen nach der Reunion werden von Page gern an Plant verwiesen. Ist der es doch, der zumeist betont – im Gegensatz zu Page, Jones und Bonham jr. – lieber in andere Projekte Zeit investieren zu wollen. Im Herbst etwa erscheint ein neues Album von ihm.

Doch es war genau anlässlich der Vorstellung dieser neuen Platte – ein vielschichtiges Meisterwerk zwischen World, Folk und tiefdunklen TripHop-Sounds – vor einem erlauchten Kreis in einem kleinen Hotel im Londoner Stadtteil Soho, da Page selbst auch die alte Liebe ins Spiel brachte. So schwärmte der Sänger mit der unverändert wilden Mähne bei einem Glas Rotwein davon, wie er am Vortage mit seiner Band eine unfassbare Version des Zep-Klassikers „Black Dog“ gespielt habe. Dabei kam man nicht umhin, ein ganz bestimmtes Funkeln in seinen Augen zu sehen. Es ist wie es ist: Ob 1970 oder 1986 – oder anno 2014 – Led Zeppelin sind und bleiben eine der größten Bands, die die Welt je gesehen hat.