Eine Insel voller Magie, so wird Ibiza oft genannt. Das ist wohl wahr. Das magische Unterwasser-Ökosystem des Ozeans spielt eine entscheidende Rolle beim Überleben unseres Planeten. Doch es gibt auch jene Stimmen, die der Insel all ihre Verlockungen in puncto Drogen vorwerfen. Eines sollte man dabei bedenken: Du hast die Wahl – und könntest auch einfach ‚Nein‘ sagen. Auf Ibiza lebt eine äußerst unabhängige, kultivierte Frau, die sich dieser Realitäten absolut bewusst ist – die italienische Komponistin und Toningenieurin Coco Francavilla. In ihrem hochmodernen Aufnahmestudio Wider Sounds, auf 90.000 m2 Natur im ruhigen Norden Ibizas gelegen, tauchen wir ein in ihr vergangenes und gegenwärtiges musikalisches Abenteuer. True Punk Rock, so lautet ihr tiefverwurzelter Mindset.

Es ist 2024 und Cocos Musik ist vielfältig: Live-Ambient-Sets, traumähnliche Kompositionen, sphärische und eindrucksvolle Klangwelten. Sounds, die letztlich eine entspanntere Art von elektronischer Tanz-Musik bieten als jene, die sonst auf Ibiza das Sagen haben. Auch das Experimentieren mit der heilenden Wirkung von Klängen und binauralen Beats zur Verlangsamung der Gehirnaktivität für die Meditation fasziniert sie. Diese genreübergreifende Musik hat nichts mit Punkrock zu tun – obwohl sie ihn schon als 15-Jährige entdeckte und sofort Fan wurde. „Die Musikindustrie besteht aus Gruppierungen. Die Ambient-Szene auf Ibiza ist eine inspirierende Gemeinschaft, jeder kennt jeden.“ Cocos engster Zirkel mag klein sein, aber ihre Kollaborationen kennen keine Grenzen. Skunk Anansie-Sängerin Skin brachte Coco vor 14 Jahren zum ersten Mal nach Ibiza. „Ich kam her, weil Skin damals hier wohnte. Sie nahm uns mit in einen Club und bat mich, eine Platte zu produzieren.“ Sie arbeitete auch mit dem schwedischen DJ und Trance-Produzenten Adam Beyer zusammen.

Während ich versonnen an einer Tasse ihres würzigen, selbstgemachten Johannisbrotsafts nippe, umgeben von Vintage-Synthesizern, modularen Synthies, Outboards und Klavieren, bin ich neugierig, mehr zu erfahren. „Als ich diese Bewegung in den 90ern entdeckte, war es ziemlich irritierend. Es kam aus den USA und hatte nichts mit meinem klassischen Umfeld zu tun.“ ‚Nichts, was ein Mann tut, kannst du nicht auch. Egal, was du tust, mach’ einfach, was du willst. Verdiene dein eigenes Geld, mach’ Karriere und verlasse dich nicht auf einen Mann’, hatte ihre Mutter gesagt. „Mein Vater ist Künstler und Architekt, meine Mutter war eine emanzipierte Feministin und zutiefst unabhängig.“ Ihre energischen Worte haben Eindruck hinterlassen. Als einzige Frau in einem 40-köpfigen Team arbeitete Coco als Tontechnikerin während einer Welttournee für das berühmte Elektrofestival Afterlife, das eine Residency im Nachtclub Hï auf Ibiza hat. Nachdem sie ein Stipendium für ein Studium in New York gewann, kam es zu einer prägenden Begegnung: „Ich verliebte mich in einen älteren Typen. Ich war etwa 13 oder 14, er war in seinen Zwanzigern. Wir wurden richtig gute Freunde. Er gehörte zu dieser Punkrock-Bewegung namens Straight Edge.“

Während bekannte Punks wie die Sex Pistols auf Alkohol und Drogen standen, drehte es sich beim Hardcore Punk um etwas ganz anderes – nämllich die Rebellion gegen dieses exzessive Konsumverhalten. Einige folgten auch Veganismus und Vegetarismus. „Wie ist es bei dir?“ frage ich Coco. „Ich bin Vegetarierin“, sagt sie. „Es ging um einen Lebensstil, eine große Achtsamkeit in allem, was man tut“, blickt sie auf die einstige Underground-Musikszene New Yorks zurück. „Die Musiker hatten ein ausgeprägtes DIY-Ethos, waren politisch engagiert, es ging um soziale Gerechtigkeit. Einer von ihnen war Steve Albini, er produzierte Nirvana, PJ Harvey und die Pixies, einer der großartigsten Produzenten der Welt. Sein Herztod kürzlich war ein Schock. Leute wie er und Ian MacKaye haben mit ihrer musikalischen Integrität nicht nur mich, sondern eine ganze Generation von Kids beeinflusst. Verkaufe dich nicht an den Teufel, ob für Geld oder Ruhm. Tu, was dir gefällt, was dich begeistert – du musst nicht bei einem großen Label unterschreiben. Mich fasziniert und prägt das bis heute. Alle Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe, waren mit dieser Ideologie verbunden. Ich habe Filmkampagnen für „Blade Runner 2049“ und „Hunger Games“ geschrieben und kann immer noch die Musik machen, auf die ich stehe. Wenn ich mich entscheide, ein eigenes Label zu gründen, muss ich auf niemanden hören. Ich muss meine Musikrechte an niemanden verkaufen. Es ist nicht immer einfach, wie fast alles in der Unterhaltungsindustrie. Aber wenn ich einen Nachmittag mit meiner Tochter verbringen möchte, kann ich das tun. Das ist meine größte Freiheit.“

Was bedeutet es also, Hardcore Punk zu sein? „Ich hatte nie das Verlangen, eine Künstlerkarriere anzustreben. Ich hatte das Gefühl, es passt nicht zu meinem Ethos, zu meiner Art, aufs Leben zu blicken. Ich habe schon früh Filmmusik und elektronische Musik gemacht, immer basierend auf diesem DIY-Ansatz, wahrer Punkrock eben. Als ich damals Fugazi und Shellac gehört habe, konnte man sich problemlos ihre Konzerttickets leisten. Wenn ich heute eine Show sehen will, kostet mich das mehrere hundert Euro, es gibt VIP-Tische und so etwas. Ich find’s total daneben, ein großer Teil der Ambient-Szene arbeitet einfach anders. Ibiza hat sich über die Jahre sehr verändert. Es ist alles sehr VIP-mäßig geworden, viele Künstler und Bohemiens hat es fortgetrieben. Das ist sehr schade.“

Cocos jüngstes Projekt Musicforthesea.org ist von der Arbeit Manu San Félix’, einem Meeresbiologen und National Geographic Explorer, inspiriert. Es zielt darauf ab, die internationale elektronische Musikszene, Künstler, Wissenschaftler und Innovatoren zu vernetzen, um auf diese Weise den Meeresschutz im Kampf gegen den Klimawandel zu stärken. „Ich bin sehr fasziniert davon, wie lebenswichtig die Posidonia in unserem Meer für die gesamte Menschheit ist – ein Quadratmeter dieser unglaublichen Pflanze absorbiert fünfzehnmal so viel CO2 wie der Amazonas-Regenwald. Mir geht es darum, Bewusstsein zu schaffen. Alles ist mit dem Meer verbunden.“

Wider Sounds

07812 San Lorenzo, Ibiza

www.wider-sounds.com

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