Wir treffen uns mit Loco Dice, Ibiza-Liebhaber, gefeierter DJ, Produzent und Fashionista, um über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sprechen.
Es war ein weiter Weg von den Anfängen der elektronischen Tanzmusik, als die Leute in einen Club gingen, um zu feiern und unvergessliche Momente miteinander zu teilen, bis heute, da viele sich über ihre Präsenzauf Social Media definieren. Wird das traditionelle Clubbing von Menschen ersetzt, die ihre Zeit im Club in den sozialen Medien zur Schau stellen?
Unsere Art zu denken, ist ein bisschen von Gestern. Die Kids werden mit einem Smartphone geboren. Wir sorgen uns zu sehr, dass sie keinen Spaß haben, aber das Gegenteil ist der Fall, sonst wären die Clubs leer. Ganz sicher gibt es Leute, die wegen der Musik und des Styles kommen, auch wenn das eher in kleinen Clubs oder bei kleineren Acts passiert. Aber selbst wenn dieser dann einen großen Track spielt, gehen die Handys hoch. Und auf einem großen Festival mit einem Big Name möchte jeder ein Stück Geschichte mitnehmen.
Von Desolat, einem deutschen Kultlabel der frühen Tage, bist Du über En Couleur jetzt bei Deinem neuesten Abenteuer angekommen: Seran Bendecidos, Deinem eigenem Label. Was hat es damit auf sich?
Desolat ist schon ewig dabei und ich bin sehr stolz darauf, wir hatten Newcomer, Superstars und Legenden. Da es jedoch von den Clubs lebte, habe ich während der Pandemie En Couleur kreiert: Musik für die Ohren, fürs Zuhause. Zudem hatten wir Probleme, Musik zu promoten, da wir sie nirgends spielen konnten. Ausgelassen im eigenen Wohnzimmer tanzen? Eher nicht. Jetzt ist alles wieder da, also musste ich mir für die neue Generation ein neues Konzept einfallen lassen. Die jungen Leute wissen nicht, was man früher so gemacht hat, es ist ihnen egal. Es gibt keine Plattenläden mehr, keinen Ort zum Austauschen von News, wo man die „Philosophen“ unserer Musik treffen könnte. Für die Kids von heute ist Musik etwas anderes, es geht ums Konsumieren. Sie legen sich auf keinen Stil fest, sie wollen den neuesten Hype, was auch immer das ist. Deshalb habe ich Seran Bendecidos gegründet, mit frischen Melodien und neuen Künstlern, während Desolat sich weiterhin auf den Club konzentriert, Musik aus Loops, lange Versionen, 6-Minuten-Tracks. Die Kids haben eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, alles ist Tik-Tok und dem muss man sich anpassen. Man kann nicht auf altersweise machen und ihnen sagen, was sie tun sollen. Sie wollen ihr eigener Chef sein. Wir waren früher ja genauso, aber wie gesagt, wir hatten Plattenläden, wir konnten uns zusammensetzen, anfassen, fühlen – das ist vorbei. Man muss sich weiterentwickeln. Ich liebe die neue Generation, ich liebe neue Musik, das ist alles sehr erfrischend.
Was reizt Dich immer noch am DC10?
Heute geht es nicht mehr so sehr ums Clubbing, nicht um Fabric oder DC10, sie kommen, um zuzuhören. Wenn du dich nicht anpasst, verlierst du dein Publikum. Wenn du ein altes Lied spielst, dreht nicht mal derBarkeeper durch. Dies ist eine völlig neue Generation. Wenn Antonio von Circo Loco mir auf die Schulter klopft und von früher schwärmt, fühlt es sich für mich vielleicht gut an, aber für die Crowd ist das nichts. Loco Dice ist auch heute noch fresh, ich liebe es, mit der neuen Generation zu konkurrieren. Für die Leute von heute dürfte DC10 dasselbe sein, was es damals für mich war, deswegen ist es wichtig, am Ball zu bleiben, sonst fällt man sehr schnell zurück.
Circoloco – was gefiel Dir zu Beginn am besten und was ist heute Dein Favorit?
Das Gleiche wie beim DC10, man muss anders spielen, alles ist so viel schneller und intensiver. Veränderung ist immer gut, weißt du? DC10 galt auf der Insel als Feind. Man respektierte uns nicht als Superstar-DJs. Genau deswegen wurde es so schnell zur Legende: Weil uns das scheißegal war. Diese Zeiten sind vorbei. Es ist dieselbe Venue, derselbe Name, aber die Musik ist frisch, der Vibe ist neu und es funktioniert. Ich komme immer noch gerne zurück, um hier zu spielen.
Du hast immer schon mit bekannten Designern und Marken kooperiert. Was hat einen größeren Einfluss auf Dich – Mode oder Musik?
Beides folgt denselben Regeln, sie erfinden sich immer wieder neu. In der elektronischen Musik ging es von House über Techno zu Tech House, zu was auch immer, und wieder zurück zu Techno. Bei der Mode ist es dasselbe. Es gibt Zeiten, in denen Designer etwas Neues erfinden, und Zeiten, in denen sie sich zurückbesinnen. Die Kunst bei beidem besteht darin, dem Spiel immer einen Schritt voraus zu sein.
Du kreierst auch Sets für den Laufsteg. Gibt es Parallen zwischen Club und Modeschau?
Bei der Zusammenstellung eines Fashion-Sets hast du totale Freiheit. Du kannst die Leute schocken, indem du völlig unterschiedliche Stile spielst. Auf der Tanzfläche würdest du auf diese Weise das Publikum verlieren. Du kannst Bossa Nova spielen, danach einen Track von Aphex Twin, anschließend deutschen Hip-Hop. Der Laufsteg folgt keinen Regeln, Abwechslung ist das überraschende Element. Die Leute sollen nicht tanzen, sondern gefesselt sein.
Wo siehst Du Clubbing in 15 Jahren?
Vielleicht tragen wir alle Computerbrillen und genießen den Club aus der ganzen Welt, wer weiß? Ich habe meinen Kumpel Carl Cox dann nicht mehr neben mir und droppe einen Drum’n’Bass-Track, nur um zu sehen, wie er da wieder rauskommt. Im Ernst: Ich hoffe, die Leute gehen immer noch aus und haben eine gute Zeit, so wie wir früher, wobei es in diesen sich immer schneller verändernden Zeiten bestimmt anders sein wird.
Und wie sieht es mit Dir aus?
Ich fühle mich immer noch wie zwischen 21 und 27. Solange ich fresh und hungrig bin, werde ich im Spiel bleiben, mich mit den Youngsters messen und ihnen zeigen, wie es läuft. Ich liebe immer noch das Freigeistige in den Clubs. So lange die Leute zu mir kommen, werde ich da sein.
Alter ist eine Geisteshaltung. Es scheint, als hättest Du noch einen langen Weg vor Dir. Wir hoffen, du bleibst für immer 27 und ziehst weiter durch. Dass du im Groove bleibst, die Menschen auf dem Dancefloor glücklich machst, zuhause mit ihren Brillen, beim Besuch einer Modenschau oder wo immer man Deine Sounds genießen kann.