Unbestreitbar leben wir in widersprüchlichen Zeiten: Auf der einen Seite baden wir im Komfort und können uns durch Smartphones, Highspeed-Internet und moderner Technologien wie KI jederzeit mit Freunden und Familie verbinden, auf einen großen Wissenspool zugreifen und kreativer denn je unsere Freizeit gestalten.

Aber durch diesen Fortschritt erhalten soziale Trennungen zusätzliches Potenzial: Wir müssen kaum noch persönlich miteinander sprechen, sondern tragen unsere Meinungsverschiedenheit versteckt hinter dem Monitor aus.

Nachdem die International Music Summit (IMS) seit fast zwei Jahrzehnte über die Veränderungen, Herausforderungen und Trends in der elektronischen Musikindustrie diskutiert, widmete sich die diesjährige Auflage genau diesem Thema: Wie stärken wir unser Gemeinschaftsgefühl?

Im letzten Jahr lag der Schwerpunkt auf Vorträge über psychische Gesundheit und Wellness, nun stellt sie sich auch den unbequemen Fragen. An der Spitze der Bewegung ein mutiger Mann: Mark Grotefeld.

Als GM von AlphaTheta EMEA (ehemals Pioneer DJ) war Mark und sein Team von Anfang an der IMS Ibiza beteiligt und hat miterlebt, wie sich das Mikroversum von DJs, Produzenten, Labels, Clubs, Veranstaltern und auch die Gesellschaft insgesamt veränderte – und das alles, während sie die DJ-Abteilung von Pioneer vom Start-up zu einem Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen aufbauten.

In seiner Eröffnungsrede zur IMS 2024 bezog Mark Stellung und gab zu: „Ich weiß, dass wir Gefahr laufen, als Purpose Washing oder Purpose Poture wahrgenommen zu werden. Ich weiß, dass wir an unserer Authentizität gemessen werden und dass zu Recht”.

Selbstbewusst, ehrlich und humorvoll erzählt Mark faszinierend von den Anfängen des Start-ups und seinen ersten Schritten, berauschenden Momente auf der Tanzfläche, den technologischen Fortschritten und späteren schwindelerregenden Gewinnen von Pioneer DJ vor dem Hintergrund der digitalen Revolution und dem Aufstieg der sozialen Medien.

Es bleibt die Frage, wie schafft man, dabei nicht seinen Leitfaden, „den Nordstern“, wie Mark sagt, zu verlieren. Der Wirtschaftsboss fokussiert sich mit einer einfachen Frage: „Warum?“.

Während seiner Rede erklärt Mark, wie er beim Wechsel von Pioneer DJ zu AlphaTheta sein Team fragte: „Was machen wir? Wir entwerfen und produzieren DJ-Produkte und Software. Warum tun wir das? So können DJs und Künstler mit ihrer Musik sehr kreativ sein und tausende von Menschen erreichen. Warum? So können tausende von Menschen unterschiedlicher Kulturen, Identitäten, Überzeugungen, Ethnien und Nationalitäten Inspiration, Freude, Zugehörigkeit und Akzeptanz finden. Ein sicherer Raum, eine Tanzfläche, auf der alle gleichermaßen willkommen sind“.

Sein Vortrag traf mitten in die Herzen der Zuhörer, auch in das vom Ibiza Style-Team. Und da die IMS der Ort ist, an dem Gleichgesinnten zueinander finden und auch ins Gespräch kommen, haben wir Mark spontan um ein Interview gebeten.

„Ich hätte vor fünf oder sechs Jahren nicht über dieses Thema sprechen können, weil das Publikum nicht bereit gewesen wäre. Aber die Branche ist gereift. Viele beginnen darüber nachzudenken, was sie zurückgeben können. Ich denke, Aviciis Selbstmord war ein Wendepunkt und führte zu Debatten über psychische Gesundheit, Stressfaktoren und Drogenmissbrauch“.

Er spricht sich für eine positive Unternehmenskultur und -führung aus, während er dennoch als marktführendes Unternehmen Gas geben muss. „Ich versuche zu erklären, dass über den Gewinngedanken hinaus etwas Tieferes in unseren Herzen und Köpfen passiert. Wir haben viel Arbeit geleistet, um wirklich zu verstehen, was wir tun und warum wir es tun“.

Warum ist das „Warum“ so wichtig? „Wenn man sich diese Frage nicht stellt, fehlt eine zielgerichtete Intention und die braucht man auch um die richtigen Mitarbeiter zu finden. Wir haben gute, kluge und motivierte Mitarbeiter und dank ihnen sind wir in der Lage, die Komplexität der Disruption zu bewältigen“.

Bei AlphaTheta bedeutet die Wertschätzung des Teams, diesem etwas zurückzugeben. „Wir bieten interne Schulungsprogramme, die nicht nur auf den typischen kaufmännischen Fähigkeiten basieren, sondern auch auf inneren Werten. Und wir engagieren uns sehr für das Wohlergehen unserer Mitarbeiter. Wir veranstalten regelmäßig Workshops zur psychischen Gesundheit mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Wenn man mit Mark spricht, wird deutlich, dass er weit davon entfernt ist, ein profitbesessener Unternehmensboss zu sein, der dem nächsten Dollar hinterherjagt. Er wagt den Spagat zwischen Unternehmenskultur und Profit. Vielleicht deshalb, weil er „eher zufällig“ in dieser Branche gelandet ist, wie er lächelnd ausführt.

„Mein erster Abschluss war in Sportwissenschaften und nach meinem Abschluss bin ich vier Jahre lang nur Mountainbike-Rennen gefahren! Ich hörte Carl Cox, Sasha und John Digweed, als ich trainierte, und ihre Musik motivierte mich. Ich hatte diese Jungs die ganze Zeit im Ohr”.

Mit 28 Jahren beschloss er, sich einen „richtigen Job“ zu suchen und machte den Master in Marketing. Bei Pioneer erklomm er als Head of Marketing für die damals brandneue DJ-Abteilung die Karriereleiter: „Alles passte zusammen“.

„Ich liebte die Start-up-Kultur. Es war lässig, keine Hemden und Krawatten. Ich hatte nicht geglaubt, dass ich so lange bleiben würde, aber ich verliebte mich in die Kraft der Musik und die elektrisierende Energie der Branche. Es war ein exponentiell wachsender Raum und so spannend“.

Marks Karriere und der Erfolg von Pioneer DJ führte ihn schließlich auf die Weiße Insel. Seine Highlights? „Die letzten fünf Jahre vom Space vor der Schließung, vor allem Carls Party. Die Openings und Closings. Ich habe damals viel auf Ibiza gearbeitet, die Insel und die Besitzer der C Clubs kennengelernt. Es war einfach eine besondere Zeit“.

Natürlich bezieht Mark auch zur veränderten Clubbing-Landschaft und dem Aufstieg der VIP-Kultur Stellung. Und mit der gleichen Ehrlichkeit und Offenheit, die auch seine IMS-Rede auszeichnete, sagt er: „Wir waren nie ein Fan des VIP-Konzepts. Nicht nur, weil wir im Kontext von House und Techno denken und deren Geschichte und Wurzeln kennen. Musik hat für mich die Fähigkeit, Hierarchien auszugleichen und alle zusammenzubringen, während VIP-Bereiche sofort eine Spaltung schaffen“.

„Meine Rede war eine Erinnerung an dieses Geschenk, ein Aufruf an alle Beteiligten, sich auf die Kraft der Musik zu besinnen, die Barrieren, digitalen Einflüsse, polarisierte Lager und Statusdenken, zumindest für einen gemeinsamen Moment abbaut. Auf der Tanzfläche und im Club sind wir alle gleich“.

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