Es war ein Artikel über die Hippie-Ära auf Ibiza, der das Leben von Natasja Vermeer für immer verändern sollte. Die ehemalige niederländische Modelschönheit kam wegen der Musik und des unkonventionellen Lebensgefühls nach Ibiza – und blieb. „Alle tanzten, trugen Flip-Flops, liefen barfuß… Hippie Feeling pur“, erinnert sie sich. Vor 22 Jahren war es eine spontane Reise – sieben Wochen lang feierte sie das Leben zwischen Sonne, Strand und Star-DJs. Ein paar Jahre später, bereit, dem Modelleben und der Hektik der Großstadt den Rücken zu kehren, wurde die Insel mit ihren 130 Stränden und versteckten Buchten zu ihrem neuen Zuhause.
Als junge Frau studierte Natasja Naturwissenschaften, wuchs im Osten der Niederlande auf und machte erste Schritte in die Modewelt durch eine lokale Agentur. Sie schmunzelt, wenn sie heute daran denkt, wie sie von der Laborarbeit direkt auf den Catwalk von Mailand wechselte. Mit ihren 178 Zentimetern und zarten 52 Kilo galt sie damals nicht als „runway-tauglich“ genug – das intensive Laufsteggeschäft war ihr ohnehin zu hektisch. Stattdessen widmete sie sich lieber Fotoshootings für Magazine und Werbekampagnen.
Ihre Karriere begann in Mailand – doch wann immer es ging, zog es sie in die Berge, in die Natur. In Miami unterschrieb sie bei der Elite Model Agency; ein früher Job: ein Katalogshooting mit Heidi Klum – in der prallen Sonne, die ihr die Augen zukneifen ließ. Die Fotos wurden nie verwendet. Doch schon bald brillierte sie bei Editorial-Shootings – ihr Talent war unübersehbar. Der Durchbruch: ein Cover der französischen Vogue von Starfotograf David LaChapelle, auf dem sie kahlgeschoren erschien. Es folgten Arbeiten mit Ellen von Unwerth, Raphael Mazzucco und viele ikonische Momente: ein Shooting mit fünf weiteren Supermodels in roten Kleidern am Strand der Hamptons, Aufnahmen der Vogue Australia am Ayers Rock – inklusive Begegnungen mit Kängurus und Aborigines – und einem Lamm, das auf ihrem Schoß einschlief.
Tiere waren ihr stets eine Herzensangelegenheit. Natasja rettet Vögel und Wildtiere, wo sie kann, und setzt sich leidenschaftlich für den Tierschutz ein. Gemeinsam mit Pamela Anderson und ihrer engen Freundin Naomi Campbell posierte sie nackt für eine PETA-Kampagne gegen Pelz – ein starkes Statement im Jahr 2008.
Wie von selbst ergab eines das andere. Ohne Schauspielausbildung wurde sie 2004 für die Hauptrolle in der Neuauflage des Erotikklassikers Emmanuelle entdeckt – eine siebenteilige Filmreihe, die zwischen 2004 und 2006 entstand. Die Originalverfilmung von 1973 mit der Niederländerin Sylvia Kristel hatte einst die Filmwelt revolutioniert – und das Frauenbild gleich mit. Natasjas Schauspielerfahrung beschränkte sich auf kleine TV-Rollen als Teenager. Sie spielte einfach sich selbst – mit Hilfe eines einfühlsamen Regisseurs, der sie bestärkte, sinnlich, aber niemals vulgär zu sein.
Weitere Filme folgten, etwa Private Moments, der 2005 in Cannes Premiere feierte. Parallel dazu widmete sie sich der Musik – sie schrieb Songs, drehte Musikvideos für den Soundtrack der Emmanuelle-Filme mit Claude Challe, dem Schöpfer legendärer Compilations wie Les Bains Douches und Buddha Bar.
Wenig später lernte sie im New Yorker Lotus Club Mick Jagger kennen – eine Begegnung, aus der eine Freundschaft wurde. Gemeinsam gingen sie ins Studio, er lobte ihre Texte, borgte sich sogar ihre Songbücher aus. Natasja beschreibt ihren kreativen Prozess wie eine Art Trancezustand – vergleichbar mit den Doors, die Jim Morrisons Gedichte in Musik verwandelten.
15 glückliche Jahre verbrachte sie in den USA – erst Miami, dann New York. Doch der 11. September 2001 setzte dem ein Ende. Es folgten Zwischenstopps in London und Paris – doch irgendwann wurde ihr das Jetset-Leben zu viel. Sie sehnte sich nach Tiefe, nach einem echten Leben jenseits der Oberflächlichkeit.
„Immer perfekt aussehen zu müssen, immer im Licht stehen – das war nicht mehr mein Weg.“ Sie kehrte dem Rampenlicht den Rücken, begann ein neues Kapitel. Sie widmete sich der inneren Arbeit, verbrachte viel Zeit in der Natur, studierte Psychologie und Ernährung – und fand ihr Zuhause in einem kleinen Haus am Meer auf Ibiza.
Heute lebt Natasja im Einklang mit buddhistischen Prinzipien – Reflexion, Mitgefühl, Rückzug. Das Leben am Meer half ihr, wieder zu sich selbst zu finden. Sie ist davon überzeugt, dass viele Menschen gar nicht mehr wissen, wer sie sind oder was sie wirklich wollen. „Sie leben in einem ständigen Vakuum. Das ist das größte Problem unserer Zeit.“
Im vergangenen Jahr zog sie sich bewusst zurück. Sie arbeitete mit Meditation und Atemübungen, praktizierte Schattenarbeit. Eine stille Meditationswoche veränderte sie tiefgreifend. „Du gehst nach innen, angelst in deinem Innersten, spürst Emotionen auf, gibst ihnen Namen, stellst Fragen, schälst Schicht um Schicht wie bei einer Zwiebel – bis zum inneren Kind.“ Es sei nicht immer angenehm gewesen – aber notwendig.
Ursprünglich hatte sie davon geträumt, eine kleine Strandbar auf Ibiza zu eröffnen, vielleicht mit einem Gitarristen und ein paar Freunden aus der Musikszene. Und sie brachte tatsächlich Größen wie Guy Laliberté (Gründer von Cirque du Soleil) und Unternehmer Giuseppe Cipriani auf die Insel.
Heute führt sie gemeinsam mit einem langjährigen Freund und Businesspartner die Agentur Ibiza Small World – spezialisiert auf exklusive Immobilien mit Fokus auf Qualität statt Masse. Auch wenn sie Ibiza noch immer liebt, räumt sie ein: „Es wird immer schwerer, den alten Geist der Insel zu finden.“
Ihr Lebensmittelpunkt ist nun ihre Finca „mitten im Nirgendwo“, ihre zwei Hunde, ihre spirituelle Praxis – und die Musik. Sie lernt Gitarre, schreibt wieder Songs, will zurück ins Studio. Vor Kurzem wirkte sie an einer TV-Dokumentation mit: Das schönste Mädchen der Klasse, eine Hommage an ihre frühen Jahre.
Wenn sie heute zurückblickt, staunt sie selbst: „Habe ich das wirklich alles erlebt? Woher nahm ich nur den Mut?“
Photography: Marcel Boer
Art Direction: Mart Storck
Model: Natasja Vermeer
Styling : Salomé Martinez
Hair & Make Up: Dafine Martines