Es ist ein traumhafter Tag im Mai als Ich die Berge von Salinas hochfahre bis ganz oben und an einem Haus ankomme das den Blick über die Salinen und die Bucht von Es Codolar freigibt, im Hintergrund erhebt sich die majestätische Es Vedra – viel schöner geht es nicht.

Hier wohnt Joachim Kühn, geboren 1944 in Leipzig, inmitten von Krieg und Zerstörung. Er meint, dass es ein paar Tage Pause vom Bombenhagel gab, ansonsten wäre er nie geboren. Die erste Erinnerung ist ein Musikstück von Artie Shaw, ‘Indian Summer‘, sein Bruder Rolf spielte Platten und übte Klarinette in den Kinderwagen hinein. Joachim sagt ‚Mir wurde der Jazz in die Wiege gelegt‘.

Er wurde in eine Künstlerfamilie geboren. Sein Vater war Akrobat, sein Bruder Rolf Musiker. Im zarten Alter von 5 Jahren nahm seine Mutter einen Privatlehrer, Arthur Schmidt Elsey, Pianist und Dirigent. Er veranstaltete Schulkonzerte und mit nur 6 Jahren gab Joachim sein erstes Konzert mit Robert Schumann in Leipzig. Durch seinen Bruder wurde Jazz zu seiner Leidenschaft, eine Musik die in der DDR so gar nicht konform war, doch das war ihm egal, er hatte seine Bestimmung gefunden.

Mit 14 Jahren wusste Joachim bereits, dass er im Leben nichts anderes machen wollte als die Musik zu spielen die ihm gefiel, entgegen dem Rat seiner Mutter die meinte das Leben besteht zum Teil auch aus Kompromissen, was er so gar nicht nachvollziehen konnte. Bis dahin spielte er jedes Jahr Klassik-Konzerte, hatte aber auch schon eine Jazzband, die im Jugendclub auftrat. Er konnte bereits richtig gut Klavier spielen, aber er wusste dass er 10 Stunden pro Tag für 10 Jahre geradezu fanatisch üben musste, um seine Ziele zu erreichen. Mit 20 Jahren war er soweit, mit seinem Bruder auf dem Jazz Jamborie Festival 1964 in Warschau zu spielen – ein Riesenerfolg. Danach nannten sie sich das ‚Rolf & Joachim Kühn Quartet‘, tourten die DDR und nahmen ihre erste LP ‚Re-Union in Berlin‘ für CBS auf. Zu dieser Zeit war Rolf schon der weltbeste Jazzklarinettist.

Wenn er heute ein Konzert gibt sitzt er vorher Stunden am Klavier und übt, um seinem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Essentiell für einen gelungenen Auftritt sind frisch gewaschene Haare und ein frisches Mundgefühl, dazu benutzt er seit eh und je Odol Mundwasser – er besitzt neben einer Originalzeichnung aus dem Jahr 1924 auch eine original Flasche aus Keramik mit Metallverschluss. Um zu sehen wie weit er es als Pianist gebracht hat, reicht eine Anekdote: 1982 gab Frank Zappa ein Konzert in Hamburg. Am Vortag gab es ein Dinner mit Frank, welcher ihn noch vom Jazz & Rock Festival 1969 in Amougies (Belgien) in Erinnerung hatte. Er lud Joachim ein, bei dem Konzert einzusteigen – eine grosse Ehre.

Auf die Frage was Musik für ihn bedeutet, vor Allem Free Jazz, sagt Joachim ‚Free Jazz bedeutet, alle Regeln über Bord zu werfen, radikal zu werden in der grossen Freiheit, aus den Trümmern etwas Neues zu erschaffen.‘ Seine grossen Vorbilder J. S. Bach, John Coltrane und Miles Davis wurden im Alter auch immer freier, um ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden.

 

Er kam 1972 zum ersten Mal nach Ibiza, Salinas war wild und unerschlossen, das Marysal wurde eröffnet aber es sollte noch gut 20 Jahre dauern bis er sich hier niederlassen würde, zuerst brauchte er das wilde, pulsierende Leben in Paris, San Francisco und Los Angeles. Als Ich ihn frage wie er die DDR verlassen konnte sagt er, dass man damals eine Einladung brauchte. Im Jahr 1966, Joachim war 22 Jahre jung, veranstaltete der berühmte Pianist Friedrich Gulda einen Jazzwettbewerb in Wien. Sein Bruder Rolf spielte mit Friedrich und überzeugte ihn, Joachim eine Einladung zu schicken. Er bekam das Visum und konnte somit im Schlafwagen nach Wien endlich die ‚verdammte DDR‘ hinter sich lassen.

Danach ging alles Schlag auf Schlag: Berliner Jazztage 1966, Newport Jazzfestival 1967, im gleichen Jahr nahm der Produzent von John Coltrane, Bob Thiele, mit den Brüdern ‚Impressions of New York‘ für das Label Impulse auf. 1968 ging Joachim nach Paris und bekam seinen ersten eigenen Plattenvertrag bei BYG Records. Es folgten Free Jazz Festivals mit seinem eigenen Trio in Frankreich, weitere mit Gato Barbieri in Italien – dabei entstand die Filmmusik zu ‚Der letzte Tango in Paris‘. Er tourte mit Eje Thelin in Skandinavien und Joachim und sein Bruder Rolf, genauso wie mit Don Cherry, gaben immer wieder Konzerte in Deutschland.

So ging es über viele Jahre weiter – fünf davon lebte Joachim in Kalifornien und New York – Tourneen in Südamerika, Asien, Afrika, Israel, Australien, Japan und Europa. Von 1996 – 2000 spielte Joachim mit Ornette Coleman, dem Thomaner Chor Leipzig, mit Archie Schlepp, Pharoah Sanders und vielen mehr, immer gemeinsam mit seinem Bruder und grossen Vorbild Rolf. Er hat etwa 120 Platten veröffentlicht, davon allein 35 Piano Soloplatten. Seine letzte Platte ‚Duo‘ mit Pianist Michael Wollny für ‚Act Music und Vision‘ ist ein Riesenerfolg. Im August erscheint seine neueste Produktion ‚The Way‘ mit neuem French Trio, ebenfalls auf ‚Act Music und Vision‘.

Im Alter von 80 Jahren hat er vom Deutschen Bundespräsidenten und Jazz Liebhaber Frank-Walter Steinmeier das Bundes-Verdienstkreuz erster Klasse verliehen bekommen. In seinem Musikzimmer im ersten Stock steht ein Steinway der ihm von der Firma geschenkt wurde für sein Lebenswerk. Der Raum hat eine natürliche Akustik, die es ihm ermöglicht Aufnahmen selber zu tätigen. Er ist einer der wenigen Künstler der sein Inneres Kind pflegt und gleichzeitig ein Meister seines Faches geworden ist, in seinem Haus in den Bergen von Salinas seinen Traum lebt, und nur das macht was ihn wirklich erfüllt.

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