Es Cavallet am frühen Morgen, es ist Anfang Mai und der Sommer kündigt sich nun täglich immer spürbarer an. Otto Gerharz ist ein Frühaufsteher, wann immer er kann, kommt er hierher und genießt die stille Stunde des Morgens, diesen Moment, da die Sonne sich langsam am Horizont zeigt und die Insel in dieses Licht taucht, für das der Keramikkünstler mehrmals im Jahr auf die Insel kommt. Ibiza ist ihm zur zweiten Heimat geworden.

„Das Licht hier ist jede Reise wert“, es ist durchlässiger, man kann tiefer hineinsehen.“

Und was es zeigt, das übersetzt Otto in die Glasuren, für die seine Marke Otto Keramik weltberühmt ist. Auch hier auf der Insel hat Otto viele Fans, die sich gerne mit diesem besonderen Leuchten, diesem ikonisch anmutenden Charakter seiner Objekte umgeben. Dieses Leuchten ist Ergebnis eines aufwendigen Prozesses, den Otto in seiner Keramik-Manufaktur in Rheinbach bei Bonn (Deutschland) über Jahrzehnte immer und immer wieder verfeinert hat.

Mit Ton aus der Region und ausschließlich selbst entwickelten und hergestellten Glasuren. Die dreidimensionalen Oberflächen mit ihren kunstvollen Blasen und Rissen zum Beispiel, die nun in der Morgensonne von Es Cavallet so intensiv leuchten, benötigen mehrere präzise aufgetragene Unterglasuren, die dann während des Brennprozesses chemisch reagieren. „Der Ofen ist mein Freund und Prüfstein zugleich“ erklärt Otto, „ich übergebe ihm den Ton und die aufgetragene Glasur und er entscheidet, ob etwas Besonderes entsteht – oder nicht.“ Und auch bei den Reduktionsglasuren, mit denen Otto unter kontrolliertem Sauerstoffentzug und der Zugabe von Metalloxiden diese einzigartigen metallischen Farbspiele entstehen lässt, entscheidet letzten Endes der Ofen mit seiner spontanen Dynamik der Brennluftströme, wie exakt Ottos Idee gelingt.

Das Entstandene ist intensiv kunstvoll, technisch höchst anspruchsvoll und immer ein Unikat. „Ich bin ein sehr geduldiger Mensch“, lacht er bescheiden. Denn natürlich ist das Ergebnis des Brennprozesses kein Zufall, sondern das Resultat jahrzehntelanger Erfahrung und großer Kunstfertigkeit.

Ohne Schwere, so lässt sich auch Ottos Umgang mit dem Vermächtnis seines Vaters beschreiben. Der gründete Otto Keramik bereits im Jahr 1964, inmitten einer der prägendsten Designepochen, in der Ikonen wie der Panton-Chair, die Braun Atelier Anlage von Dieter Rams oder der Porsche 911 entstehen. Otto Gerharz Senior setzte neue Maßstäbe in der Keramikgestaltung und erlangte mit seinen Krater- und Reduktionsglasuren sogleich Weltruhm. Mit der sogenannten „Fat Lava“ – ein brodelndes, strukturelles Oberflächenwunder, kongenial auf die vom bedeutenden Keramikdesigner Kurt Tschörner entworfenen Formen aufgetragen –, revolutionierte Otto Senior die biedere 50er-Jahre Keramik der BRD mit einem Donnerhall. Die Kraft und Unabhängigkeit der Objekte begeisterten das internationale Publikum. Otto-Objekte aus dieser Zeit finden sich bis heute überall auf der Welt und werden hoch gehandelt, selbst der Katalog von damals hat unterdessen Sammlerwert. Otto Junior, wie sein Vater ein Keramikingenieur, der die Werkstatt 1994 von seinem Vater übernahm, bewahrte die Techniken, verfeinerte sie – und führte zugleich neue, fast experimentelle Glasur-Elemente ein: noch intuitiver, noch freier. Heute vereint er diese mit den charakteristischen Formen, für die Otto Keramik seit jeher bekannt ist. So schafft er wie sein Vater Objekte, die zeitgenössisch relevant und zugleich heute schon historisch bedeutend sind. Die wichtigsten Objekte aus seiner neuen Kollektion hat er nun nach Ibiza mitgebracht. Diese neue Kollektion ist für Otto ganz besonders, denn sie bringt erstmals das ganze Spektrum der zeitlosen Formen von Kurt Tschörner mit seinen heutigen Glasuren zusammen. „Damit kehre ich an den Ausgangspunkt von Otto Keramik zurück und mache gleichzeitig einen großen Schritt in die Zukunft“, so Otto. Dass Ibiza bei diesem Schritt eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich auch daran, dass eine seiner neuen Glasuren nach dem Licht der Insel benannt ist. Ab Mitte dieses Jahres werden die ersten Editionen aus der neuen Kollektion erhältlich sein – allesamt höchst individuell und strikt auf jeweils 64 Exemplare limitiert.

„Ich mag die Mischung aus Vernunft und Intuition“, sagt Otto. Und vielleicht unterscheidet sich ein Otto-Objekt genau deshalb noch immer und heute mehr denn je von den gängigen Luxusobjekten unserer Zeit. Diese Keramik ist ein Raumobjekt, kein Lifestyleaccessoire. Sie reicht weit über den Zeitgeist hinaus und besitzt eine unabhängige Energie. Sie verweigert sich dem schnellen Zugriff, verlangt Haltung, wirkt beständig, beinahe eigenwillig und von großer Ruhe. „Meine Arbeit ist Demut und Spielfreude zugleich“, bemerkt Otto. Am wohlsten fühlt er sich in seiner Werkstatt, allein mit dem Ton, den Glasuren und dem Brennofen. Und besonders wohl fühlt er sich auch auf Ibiza, wo das Haus eines Freundes steht, in dem er mehrmals jährlich zu Gast ist. Ibiza, sagt Otto, ist seine Energiequelle, seine Muse, es zieht ihn immer wieder hierher. Aus der Insel zieht er seine Inspiration, denkt über Farben nach, über das Licht, das morgens so kühl und klar ist, mittags fast hart und direkt und abends weich und goldfarben. Dieses Licht speichert er ab, nimmt es mit in seine Werkstatt und versucht es – in bisweilen „endlosen Versuchen“ – in Glasur zu brennen. Dass diese Versuche glücken, davon zeugen die Objekte, die, wie Otto sagt, ihre ganz eigene „Feldkraft“ haben. Wie bekommt er das hin? Otto lacht: „Instinkt und Zufall. Und harte ausdauernde Arbeit.“ Nach seinen Wünschen und Träumen gefragt, antwortet er bescheiden, dass ihn seine Arbeit jeden Tag aufs Neue erfüllt und glücklich macht. Und er merkt nicht ohne Stolz an, dass es ihm wie ein Traum vorkommt, dass unlängst die erste Otto Keramik- Galerie in Tokio eröffnet hat. Fast nebenbei ergänzt er noch ganz zum Schluss, dass er sehr gerne einmal mit einer Designerin wie Patricia Urquiola oder einem Architekten wie Peter Zumthor arbeiten würde, deren Entwürfe ihn faszinieren.

Apropos Arbeit: morgen reist er wieder nach Rheinbach in seine Werkstatt. Mit ganz viel Licht im Gepäck. Im September kommt er wieder.

 

www.ottokeramik.com