Anno 1945 als Sproß einer Bankiersfamilie in Zürich geboren, gibt Dieter Meier dem Schlagwort „vielseitig interessiert“ Jahr um Jahr eine neue Bedeutung. Sein Jura-Studium bricht er ab und verdingt sich beim Pokerspiel. Später betreibt er Viehzucht auf einer Rinderfarm in Buenos Aires, wird millionenschwerer Aktionär, baut Wein an und entwirft Uhren. Als wäre das alles nicht genug, arbeitet er zudem als Konzept- und Aktionskünstler. Legendär sein Auftritt bei der Documenta 5 in Kassel. Dort lässt er 1972 eine Tafel in den Boden ein. Die Aufschrift: : „Am 23. März 1994 von 15 bis 16 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen“. Gesagt, getan: 22 Jahre danach steht Meier genau dort für 60 Minuten vor begeistertem Publikum.

Am nachhaltigsten hat Meier jedoch als Teil der Band Yello für Eindruck gesorgt. 1978 als Trio gegründet, glänzen die Soundbastler mit frühen Klassikern wie „Bostich“ oder „She’s got a Gun“. Jahre später, Yello sind zum Duo geschrumpft, ist auch der Mainstream reif für die eigenwilligen Kleinodien. Songs wie das wunderbare „Desire“ werden Hits, „The Race“ wird zur Titelmelodie der Musikshow „Formel Eins“. Im April erhielten Meier und Kompagnon Boris Blank den Ehren-Echo für ihr Lebenswerk. Kein Grund sich auszuruhen, im Gegenteil: Kurz darauf hat der Mann mit dem unverzichtbaren Halstuch sein Debütalbum als Solist veröffentlicht. IBIZA Style traf den Meister im Hamburger „Park Hyatt“-Hotel.

IBIZASTYLE_DIETERMEIER-001Wo hat der Echo denn seinen Platz gefunden?

Der steht in der Eingangshalle von meinem Haus in Zürich.

Macht Sie das auch bisschen nachdenklich, im Sinne von „What’s Next?“

Überhaupt nicht. Das ist ja kein Grund zurückzuschauen. Für mich schon gar nicht. Alles, was mir irgendwie entstanden ist, das sehe ich wie Fußspuren eines Ganges. Der Echo ist eine wunderbare Überraschung. Aber weder schaue ich zurück noch bin ich unendlich stolz. Bei nichts von dem, was ich in meinem Leben mache, habe ich das Gefühl ich hätte das gemacht, sondern es ist mir entstanden – durch viele, viele Zufälle.

Wie war die Echo-Party?

Die war wie jedes Jahr. Ich war schon ein paar Mal dort. Es ist eine Industrie, die sich dort feiert. Es ist ja eine Veranstaltung des Erfolgs und nicht unbedingt eine der Kunst. Diese ausgezeichneten Leute, das sind vor allem Schlagersänger und Leute, die vom Druck einer bestimmten Produktion geleitet sind. Die im Hinblick auf einen Markt arbeiten, was übrigens sehr schwierig ist. Das gelingt manchmal und manchmal nicht. Beim Echo sind halt diese Leute, die diesen Markt sehr professionell bedienen und dafür geehrt werden, dass sie viel verkauft haben.

Zwei Herren im besten Alter in eleganten Jackets, mit Einstecktuch und Brillantine im Haar setzen den Glanzpunkt bei so einer Veranstaltung und machen auf der Bühne mal eben einen neuen Song. Ihre Lust an der Innovation scheint kein Alter zu kennen.

Wir waren eigentlich nie unserer Zeit voraus oder haben das so empfunden. Wir waren wie Kinder in einem Sandhaufen, die sich selbst in diesen Phantasieburgen näherkommen. Sich selbst erfinden. Wenn man diesen Weg beschreitet, dann ist die Originalität ja schon gegeben, weil jeder Mensch ja ein einzigartiges, göttliches Wesen ist. Ich bin Atheist. Ich denke, die Menschen sind die eigentlichen Götter. Was uns als Religion verkauft wird, ist natürlich grober Unfug. Dennoch gelingt dieses Neuerfinden natürlich nicht immer. Wir haben mit Yello auch LPs gemacht, die ein Treten auf der Stelle waren. Wir haben nicht jedes Mal etwas Neues erfunden.

Was mir auffiel beim Auftritt war der Vibe zwischen ihnen und Boris Blank. Sie sind immer noch beste Freunde, oder?

Wir sind sehr befreundet und schätzen uns extrem. Ich mag Boris unglaublich gern. Ein humorvoller, liebenswürdiger und fein empfindender, junger Mann. Wenn wir mal Dispute haben, dann geht es immer um die Musik. Im Studio fliegen schon mal die Fetzen, aber es ist diese Freundschaft, die das überhaupt möglich macht. Privat haben wir kaum einen Streit gehabt.

IBIZASTYLE_DIETERMEIER-004Was sagt Boris Blank zum ihrem Solo-Debüt?

Er hat das erste Konzert gesehen. Er war begeistert. Und vor allem überrascht, dass ich da zwei Stunden auf der Bühne stehe und Lieder singe, nachdem ich das in meinem Leben so noch nie gemacht habe. Meine ersten Auftritte in den 70ern waren unstruktierte Punk-Schreieren, das war etwas ganz anderes. Boris hatte sicher auch Angst um mich: Schafft der Dieter das? Findet er sein Publikum?

Haben Sie sich diese Fragen auch gestellt?

Nein, ich habe mir kein Bild davon gemacht, was passieren könnte. Ich habe natürlich sehr schnell gespürt, dass die ersten beiden Songs gut gelungen waren. Ich bin aber kein professioneller Sänger in dem Sinne. Das Publikum hat mich danach jedoch förmlich durch den Gig getragen und wenn das passiert, dann kann man immer größere Risiken eingehen. Das Gelernte auch verlassen, um Improvisiertes hinzuzufügen. Am Schluss des Konzertes war es eine Euphorie. Die Leute haben gestaunt, was dieser Studiohase da zustande bekommt.

Ihr Solodebüt kommt nicht eben früh in ihrer Karriere. Haben Sie schon mal gedacht, dass Sie das früher hätten machen sollen?

Ich denke nicht in Kategorien von „Hätte ich nur…“. Ich glaube, dass die Dinge schicksalhaft auf einen Menschen zukommen. Dieses ganze Album ist mir im richtigen Augenblick zugefallen. Ich habe das nie final angestrebt, wie auch fast nichts in meinem Leben. Es gibt natürlich diese Person, diesen Herrn Meier, der so ist wie jeder Mensch auf der Welt. Determiniert von genetischen Vorrausetzungen einerseits. Andererseits davon bestimmt, wo dieses Menschlein auf diesem Planeten gelandet ist. Das ergibt den Charakter. Das vergleiche ich gern mit dem Rhizom, dem Geflecht eines Pilzgewächses, das sich unter dem Boden befindet. Erst wenn die Temperatur stimmt, der Regen fällt, es eine Symbiose mit einem Baum gibt, dann kommen die Pilze aus dem Boden. Dann erst kann etwas wachsen und entstehen. In meinem Leben hätte ich nie so professionell Musik gemacht, wenn ich nicht „den Baum“, Boris Blank, getroffen hätte, mit dem ich dann symbiotisch vorgehen konnte. Mit dem ich als unstruktierter, fauler Hund die Möglichkeit hatte, diese wunderbaren Klangbilder zu betreten und dort meine Rollen zu schreiben. Im Gegensatz zu „Out of Chaos“ war und ist Yello immer ein Rollenspiel.

IBIZASTYLE_DIETERMEIER-007Wie war die Zusammenarbeit mit den Berliner Electro- und Techno-Spezialisten Nackt, Ben Lauber und T.Raumschmiere?

Das war etwas völlig anderes. Das ist aus dem Chaos, aus dem Singsang zur ungestimmten Gitarre entstanden. Plötzlich bildeten sich Wortfetzen und Geschichten. Wir waren dann bereits mit einer ersten Formation, allesamt tolle Jazzmusiker, auf Tournee. Die Songs wurden später aufgenommen und den Produzenten vorgespielt. Die entwickelten daraus zwei Vorschläge, die sehr anders waren. Ich liebte das jedoch sofort sehr. Eine Songwelt, weit weg von dem, was ich live gemacht hatte. Ich wollte daraufhin unbedingt mit diesen Leuten das Album machen. Unter der Bedingung, dass ich nichts dazu sagen muss. Ich wollte deren Schöpfungsprozess mit meinen Ideen nicht korrumpieren. In dieser Phase des Entstehens muss der Produzent ein Idiot sein dürfen, der nichts weiß. Der aus dem Chaos kommt, aus dem hoffentlich etwas Originelles, eine Freilegung der eigenen Person entsteht.

Wie steht es mit der Muse, auf die man wartet – brauchen sie eine bestimmte Situation, eine Versuchsanordnung, um Texte zu schreiben?

In meinem Transitleben mache ich sowieso überall Musik. Völlig dilettantisch und unstruktiert. Bei meiner ersten Gitarre habe ich alle Saiten abgebaut, bis auf eine. Dann habe ich sie gespielt wie in der indischen Musik, dazu irgendein Singsang. Das ist aber nie so gewesen, dass ich besonders inspiriert sein muss und mich dann hinsetze und aus der Inspiration heraus etwas mache. Die Songs jetzt sind entstanden aus einem unstruktierten Umherwanderns und auch aus einem Gefühl des Zweifelns, ob das machbar ist.

Ist Ibiza ein Ort, an dem sie gut kreativ sein können?

Es ist mir wie gesagt unwichtig, wo ich bin.

IBIZASTYLE_DIETERMEIER-005Wann waren Sie das erste Mal auf der Insel?

Das ist lange her. 30 Jahre. Seit zehn Jahren habe ich dort ein wunderbares Haus gemietet. Hoch oben am Hügel über San Juan.

Warum die Entscheidung, sich hier zumindest teilweise niederzulassen?

Ibiza war für mich immer eine wunderbare Insel der Gegensätze. Ein Ort der Abgeschiedenheit, aber auch des wahnsinnigen Zirkus in den Clubs, des unglaublichen Selbstdarstellungs-Reigens, des schamlosen Zurschaustellens in diesem wahnsinnigen Yachthafen etwa. Für einen Beobachter oder Voyeur, der hier einsteigt, ist Ibiza eines der Epizentren der Welt – der Exzentrizität, der Angeberei, der Selbstdarstellung.

Wie ist ihre Gewichtung zwischen Club-Leben und Erholung?

Auf Ibiza bin ich selten in Clubs. Wenn ich zum Einkaufen auf den Markt gehe, setze ich mich noch ein, zwei Stunden ins Café, lese die Zeitung und beobachte diesen weitgefächerten Reigen.

Hat sich die Insel sehr verändert aus ihrer Sicht?

Seit 40 Jahren ist dort Zirkus – und zwar immer intensiver. Die Yachten werden größer, verschwenderischer. Die Anpreisung von Prostitution schamloser. Da gehen die Bordellmädchen halbnackt mit Transparenten durch die Straßen. Die Organisatoren fahren sie mit Autos in die Stadt. Dort werden sie abgeladen und ziehen mit ihren entbößten Hintern durch Ibiza-Stadt und bewerben ihr Bordell. Das wird immer extremer. Ich habe da ja auch überhaupt nichts dagegen, aber diesen Zirkus, den gibt es schon seit 40, 50 Jahren.

Haben Sie einen Lieblingsplatz?

Dort, wo mein Haus steht. Das ist schon wunderbar. Die absolute Ruhe, der Blick aufs Meer. Auch im Sommer immer ein kühles Lüftchen. Für mich der perfekte Ort für ein Leben im Nichts. Dort kann ich Tage verbringen ohne irgendetwas zu tun. Ich nenne es „Hundetage“. Der Hund liegt irgendwo. Aus Gründen, die er  nicht kennt, steht er auf, geht zwanzig Meter, dreht sich drei Mal im Kreis und legt sich wieder hin. Das Leben in diesem Haus, wo ich auch Texte schreibe und Gitarre spiele, ist schon ein Leben der Absichtslosigkeit. Außer Kochen vielleicht.

Wäre Ibiza ein Ort um zu bleiben?

Das ist nie eine Option für mich. Ich bin selten zwei Wochen an einem Ort. Ich habe mehrere Wohnsitze auf der Welt. Ich bin ständig im Transit. Irgendwo zu bleiben, egal, wie schön es dort auch ist, ist völlig undenkbar. Ich komme gerne und ich gehe auch gern wieder weg.

IBIZASTYLE_DIETERMEIER-002Die „Zeit“ nannte ihren Stil jüngst ziemlich treffend „Nachtgestaltenblues“ – das ist etwas, was für  Klassiker wie „She’s Got a Gun“ (1981) ebenso zutrifft wie für einen neuen Track wie „The Ritual“. Das Setting ist ähnlich unterschwellig dramatisch, fast wie ein Film noir. Woher kommt diese Faszination?

Ja, das ist eine Stimmung, die ich sehr liebe. Die Bar, in der man einsam, aber doch in der Öffentlichkeit sitzt. Das Leben in der Großstadt. Man verlässt die Bar, in der man eine Stunde gesessen hat. Man steht auf der Straße, weiß nicht, ob man links oder rechts gehen will. Geht dann aus irgendeinem Grund links, macht einen Stopp. Sieht wieder eine Bar, geht hinein, trinkt ein Bier. Das sind diese zufälligen, mäandernden Stadtgänge in einer wunderbaren, öffentlichen Einsamkeit. Das liebe ich über alles. Ich kann wochenlang allein in einer Stadt sein, ohne irgendetwas zu tun und mich wie ein Stück Treibholz den unsichtbaren Strömen hingeben.

Bei allem, was sie gemacht haben – Rinderzucht, Uhren-Design, Filmerei – ist die Musik etwas, wohin sie immer wieder zurückkehren. Ist das die Konstante in diesem „Sich treiben lassen“?

Die Konstante ist Boris Blank. Wie eine feste Burg in meinem Leben. Für ihn ist ja Musikmachen nicht eine Option, die man wahrnehmen kann oder nicht. Für ihn ist die Musik das Leben, das Atmen, der Sauerstoff. Ohne Musik würde Blank verzweifeln. Er würde zugrunde gehen.

Wie wäre es für Sie ohne Musik?

Keine Musik zu produzieren wäre ok. Bedauern würde ich, wenn ich nicht mehr zur Gitarre einen Singsang loslassen könnte, wenn man mir das verbieten würde.

Dieter Moor sprach in seiner Echo-Laudatio von ihren Punkwurzeln. Könnte das nächste Album auch ein Punk-Album sein?

Nein. Punk ist ja per Definition eine rohe Form der spontanen Self-Exploitation. Die Zeiten, wo man sich unstrukturiert und chaotisch auf die Bühne stellt, um loszuschreien – die sind vorbei. Dazu gehört auch Naivität. Die habe ich natürlich verloren.



IBIZASTYLE_DIETERMEIER-006 Dieter Meier über …

… Malcolm McLaren: „Ein genialer Scharlatan, Gott habe ihn selig, der die Sex Pistols schamlos ausgenutzt hat. Die wussten ja gar nicht, wie ihnen geschieht. Und McLaren hat sie hinaus auf die Bühne geschoben. Er hatte den Masterplan, dabei konnten die armen Kerle kaum ihre Instrumente spielen.“

… Bob Marley: „Er ist einer der ganz großen Chefs, Bob Marley. Wenn er live spielt, da muss ich nur die Filme sehen und ich fang an zu heulen. Genial.“

… Grace Jones: „Ich kannte sie ihn ihren großen Zeiten ziemlich gut. Als sie damals mit Trevor Horn zusammenarbeitete, sollte als erstes eine Single gemacht werden. Sie kam also ins Studio, hörte sich das an, sang zweimal „Slave to the Rhythm“ und rauschte nach fünf Minuten wieder ab. Trevor hat dann monatelang an diesen drei, vier Wörtern gearbeitet und etwas daraus gezaubert. Dann gab es eine Präsentation vor den honorablen Vertretern von Warner Brothers. Grace Jones kam eine Stunde zu spät. Der Song wurde abgespielt, sie stand da, hörte sich das an und sagte schließlich: „This is the best Work I’ve Done in Years“:

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