Stell dir vor, du reißt ein Party-Plakate von einer Wand in Ibiza-Stadt ab. Darunter: die Schicht des letzten Jahres… Ein anderer Stil, Trend, eine andere Epoche. Wenn man Seite für Seite weiter abreißt, bleiben vielleicht einige der Fetzen hängen, andere lösen sich, bis die ursprüngliche Wandfläche oder Graffiti-Kunst zum Vorschein kommt. Es entsteht eine außergewöhnliche Collage, die unterschiedliche Stile, Konzepte, Medien zu einem einzigen fesselnden Werk verschmelzen lässt und uns daran erinnert, dass jedes fertige Kunstwerk, das wir heute betrachten, die Spuren von Künstlern und Stilen trägt, die vor ihm da waren, und die Frage aufwirft, was in Zukunft seinen Platz einnehmen wird.

Genau das passiert auf der Fusionsleinwand von Kasseus – einem Mixed-Media-Künstler, der seine Identität hinter einer Porzellanmaske aus Stanley Kubricks Eyes Wide Shut verbirgt. Seine atemberaubenden Modelle zeigen unterschiedliche Schichten, die der Künstler aus verschiedenen Epochen und Medienstilen entlehnt. Elemente der Mode- und Porträtfotografie vermischen sich mit Street Art, Spray trifft auf Acryl, 3D-Modellierung verleiht dem Werk Tiefe und Lichtprojektionen bringen neue Blickwinkel hervor.

„KASSEUS ist konstruiert“, erklärt der Künstler. „Ich neige nicht dazu, mein authentisches Ich mit meinen Werken zu verbinden, da dies dem Erschaffenen nicht zuträglich ist. Wenn ich mein Gesicht verstecke, lasse ich der Fantasie freien Lauf. Die Vorstellungskraft schafft immer die schöneren Bilder als die Realität, so wie ein Roman oft seine filmische Umsetzung übertrifft“. Kasseus sieht alles, auch seine eigene Identität, als ein Medium der Schöpfung, eine Möglichkeit, neue Realitäten auf Leinwand zu konstruieren, vor allem aber in der Fantasie des Zuschauers. Bei seinen Performances, wie z. B. im Hangar 8289, im Pikes Hotel und im W Hotel auf Ibiza, legt er ein Set mit minimalem Techno auf, während er gleichzeitig live eine Leinwand aus einem vorherigen Fotoshooting eines der im Publikum anwesenden Models kreiert (ohne dass sie vor der Enthüllung davon weiß). Er lädt die Zuschauer ein, die College der menschlichen Kultur durch eine Sci-Fi-Linse zu betrachten: mit Bildern und Musik, wobei digitale und physische Techniken verschmelzen.

„Die Arbeit an einer neuen Serie beginnt mit dem Fotografieren der Modelle. Ich nehme verschiedene Blickwinkel auf, um eine 3D-Darstellung ihrer Köpfe zu erstellen. Diese 3D-Modelle texturiere ich dann mit den realen Fotos und schaffe so eine Mischung aus realer Porträtfotografie und 3D-Modellierung. Daraus entwickle ich digitale Collagen, nutze dafür mein umfangreiches Archiv an Straßenfotografie und Magazinscans – ein Archiv, das über die Jahre gewachsen ist. Sobald ich mit dem digitalen Konzept zufrieden bin, übertrage ich es in die physische Welt. Dazu gehören umfangreiche Druckarbeiten: verschiedene Techniken und Papiersorten. Außerdem stöbere ich verwitterte und verunstaltete illegale Werbeplakate in den Straßen Londons auf und baue sie zusammen mit Acryl- oder Sprühfarbelementen in die Colleges ein. Wenn die Leinwand fertig ist, setze ich Projection Mapping ein, um Lichtkunst und begleitende Sound-Collage einfließen zu lassen. Für die Klangcollage schneide ich Filmmusik, mische sie mit Synthesizer-Soundscape-Musik und verflechte vergangene und aktuelle Popkultur-Melodien. Diese Fusion wird mit dem Sounddesign der futuristischen Straßen der Metropole Tokio kombiniert.“ Seine neueste Serie lädt uns in eine fiktive Welt ein – eine dystopische Zukunft, in der künstliche Intelligenz zur Allgemeingültigkeit wird. Das Konzept ist mit dem Aufstieg der KI in aller Munde. Was passiert jenseits des Punktes, an dem die künstliche Intelligenz die Fähigkeiten des Menschen übertrifft? Kasseus zeichnet ein Bild der versklavten Menschheit, die in einem Netz von Datenkabeln gefangen ist und in Matrix-Schachteln konserviert wird.

Anstelle der angsteinflößenden Welt von „The Matrix“ beschwört Kasseus eine fesselnde Welt nach der Singularität herauf, die Überreste der von Generationen der menschlichen Rasse geschaffenen Schönheit in sich trägt. Üppige goldene Details erinnern an die Zeiten des Überflusses. Elemente der Natur, wie eine Blume aus einem blühenden Garten oder ein glänzender Fisch aus einem Teich, zeigen uns, dass die Natur in dieser neuen Welt der nicht-menschlichen Intelligenz nicht verloren ist. Seine atemberaubenden Modelle mit ihrer polierten Haut und ihren perfekten Schlüsselbeinen heben sich von der dunklen, düsteren Umgebung ab.

„Um diesem düsteren und bedrohlichen Szenario, an das ich selbst nicht unbedingt glaube, etwas entgegenzusetzen, baue ich Elemente der Hoffnung und der Widerstandsfähigkeit ein. Es gibt einen Optimismus im beständigen Geist des organischen Lebens, der darauf hindeutet, dass die Vitalität der Natur und ihre Anpassungsfähigkeit inmitten der zunehmenden Dominanz der künstlichen Intelligenz fortbestehen werden“. Kasseus extrahiert die Schichten von Kultur, Kunst und Musik der digitalen und physischen Technik, stapelt sie übereinander und stellt die Frage, was ein Moment der Singularität für alle Schichten der menschlichen Geschichte und Kultur bedeuten würde. Und zwischen den Schichten lässt er einen Raum für das Staunen, einen Raum für die Vorstellungskraft, die noch immer ein Bild malt, das faszinierender ist als die Realität.

 

Kasseus

www.kasseus.com