Es ist 3 Uhr morgens im Metropolis Strip Club in East London. Normalerweise sieht man Anzugträger und sexgeile Typen aus der Gegend, aber jetzt ist es voll von durchtrainierten schwulen Männern, die zu gefühlvoller, diskolastiger House Music tanzen. Etwas an dieser vollverspiegelten, schicken 70er-Spelunke bei Nacht macht, dass ich genauer hinschaue: Eine schwarze Transe im hautengen Einteiler, mit phosphoreszierenden XXL-Haarteil und Rita-Ora-Makeover macht schockierenden Gebrauch von Bühne und Pole-Stange.
Rauschender Wahnsinn ist genau die Art skurille Szene, die Savage-Stammgäste längst kennen. Ursprünglich von Amy Zing and Glyn Famous 2008 als riesige „When we feel like it“-Partys mit dem Namen „Sink The Pink“ gedacht, ist der ästhetische Wunderland-Schwulen-Club über seine bescheidenen Underground-Wurzeln hinausgewachsen und hat die wöchentliche sexy Schwester-Nacht Savage hervorgebracht. Zu Beginn war das Bethnal-Green-Arbeiterheim ihr Stützpunkt. Als würden die Köpfe hinter dieser Idee einen tiefere Sinn verfolgen, verwandeln sie ehemals traditionelle Hetero-Zonen in polysexuelle Spielplätze: „Seit sieben Jahren veranstalten wir Partys an klassischen Hetero-Orten, vom Arbeiterheim bis zum Strip-Club. Wir erobern sie und machen sie zu einem sicheren Raum für Schwule“, so Amy.
Gerade war man sich einig, dass so etwas „nach East London gehört“, da eröffnet Savage unerwartet zu Beginn des Sommers die neue Freitags-Residenz im Space auf Ibiza. „Defected“ hat hier etwas so Schönes geschaffen“, sagt Glyn, „wir kombinieren die größten DJs mit Spreading Love und Drag Queens aus aller Welt. Vor allem bringen wir eine Auswahl der besten Performer aus East London dazu, sich selbst zu übertreffen! Erinnert an die Glanzzeit Ibizas, als ich zu Manumission ging und es geliebt habe“.
Am Anfang war das Verlangen zu tanzen und so ein Gefühl, dass noch etwas auf dem konventionellen Club-Rundkurs fehlte. Glyns und Amys Idee war es, eine Party mit Kunst und Performance zu gestalten, bei der die Zuschauer ebenfalls ein Teil der Action sein sollten „Es ging darum, das Beste aus Fashion, Tanz, Drag und Club Kids zu nehmen und unterschiedliche Crews entstehen zu lassen, die sich alle gegenseitig lieben. Jeder ist ein Individuum, aber zusammen wirken sie geradezu übermenschlich. Ganz wichtig war, dass alle vorher einmal zusammengearbeitet hatten, alles ist familiär“, erklärt Glyn.
Auch das künstlerische Miteinander vertiefte sich. „Wir haben auf den Hauptbühnen bekannter Festivals wie Field Day und Hay on Wye aus der Kunstszene performed. Soll heißen: Wir sind alle gleich. Wenn eine Gruppe bärtiger Typen oder Mädchen mit Gitarren gebucht werden können, dann auch „slutdropping“ Transvestiten. Jetzt ist Ibiza dran“.
Im Space besteht die Performance aus drei verschiedenen Dance Crews: Sink The Pink, Hot Heels & Nutbags, die alle ihre eigenen Energien in „Glitterbox’s Friday Residency“ einbringen. „Wir haben Hot Heels, unglaubliche
androgyne Tänzer, „voguing“ und „slutdropping“ bis zum Anschlag. Und Imma Mess, einen ganz großartiger Performance Künstler sowie Mikey Woodbridge und Mc Gaff E, die in London riesig bekannt sind“, freut sich Glyn.
Ein Großteil wirkt, als hätte er sich vom früheren Performance-Künstler, Fashion- und Club-Legende Leigh Bowery inspirieren lassen, pervertierte Comic-Identitäten mit Latex-Anzügen über übertrieben großen Körperteilen.
Da wird man neugierig, auf wen die jungen Künstler sich beziehen: „Von klein auf hat saubere und präzise Choreographie mich inspiriert – Sachen, die ich in meinem Zimmer nachmachen konnte. Ich bin mit Madonna- und Michael-Jackson-Videos groß geworden, Madonna war in ihren Tanzbewegungen so sexuell anzüglich und Jackson gestochen scharf, und ich bringe gern Elemente von beidem in meine Arbeit ein. Außerdem bin ich besessen von der amerikanischen Vogue-Ball-Kultur, wie in „Paris is burning“. Ich versuche, all das in meine Choreographie einzuschließen. In der Glitterbox lassen wir die Grenzen zwischen Geschlecht und Sexualität verschwimmen, schaffen visuell stimulierende Darbietungen, durch die die Partygänger sich fragen müssen, was sie sehen“, ergänzt Joan Oh, Mitglied der Performance-Gruppe.
Fühlen sich die Mitglieder des Savage-Clubkollektivs nicht wie Helden, unter all den großen Namen wie Hercules & Love Affair, Todd Terje, Julio Bashmore und Fatboy Slim zu performen, wo die Londoner Nächte doch weniger an einen Club erinnern als an die verschwitzte und etwas aus dem Ruder gelaufene Hausparty eines coolen Freundes? „Dieser Sommer wird unvergesslich“, strahlt Glyn. „Noch habt ihr nichts gesehen…“