Schon zu ihrer Hochzeit in den 70er Jahren waren Led Zeppelin um einiges größer als die Summe ihrer Teile. Eine Band, so schien es, wie gemacht, um das Schlagwort von der „Supergroup“ mit Leben zu füllen. Volle Stadien, ergebene Fans, die Touren im eigenen Flugzeug, dazu die Beats von Bonham, Pages unglaubliche Virtuosität an der Gitarre, die geniale Bass-Grundierung des oftmals unterschätzten John Paul Jones und die unverwechselbare, zu allem bereite Stimme des „God on a Golden Mountain“, Sänger Robert Plant. Nicht zu vergessen: das eiserne Regiment des wuchtigen Peter Grant, der für seine Band stets bereit war, jedes seiner vielen Kilo Lebendgewicht einzusetzen – bis heute der Archetypus eines Bandmanagers zwischen Genie und Wahnsinn.

Der Ort für diese Begegnung der ungewöhnlichen Art war mit sicherem Händchen gewählt. Im Berliner Meistersaal trafen sich im Mai zwei Dutzend handverlesene Journalisten, ein paar Representatives von Warner Records und Interview-Moderator Alan Bangs, die britische Radio-Legende mit Expertise zum Thema. Musikliebhaber schnalzen beim Meistersaal natürlich mit der Zunge: Es handelt sich beim holzgetäfelten Prunksaal um die ehemaligen Hansa-Studios, jenen Ort also, wo Bowie einst „Heroes“ einsang, Depeche Mode ihren Sound industrialisierten und U2 ihre Eindrücke der ehemaligen Inselstadt unmittelbar nach dem Mauerfall qua „Achtung Baby“ in Klang gossen.
Jimmy Page, mit lässigem schneeweißen Zopf, gekleidet in einen dunklen Anzug, abgerundet mit coolen Chelsea Boots, hat die ersten drei Alben von Led Zeppelin im Gepäck. Page selbst hat das Ganze produziert, neu gemastert und dafür einiges an Zeitaufwand geleistet. „Ich habe Hunderte von Tapes mit nach Hause genommen, Karton um Karton. Und dann wirklich alles durchgehört, um die besten alternativen Takes zu finden“, erzählt er lächelnd. Er hat Archive durchforstet, mit alten Weggefährten zusammen Bänder aus dem Keller hervorgeholt, selbst in Japan noch Bootlegs aufgetrieben, deren Material sich jetzt auf diesen Platten wiederfindet.
Es war also ein Heidenarbeit, die Page in dieses Projekt gesteckt hat – und wer auch nur den ersten Track hört, merkt umgehend: Die Arbeit hat sich gelohnt. Die opulenten Album-Boxen sind randvoll mit Demos, Outtakes, Live-Aufnahmen und eben den alternativen Takes der bekannten Originale. Unglaublich, wie dickhosig etwa Bonhams Beats bei „Good Times, Bad Times“ und „Communication Breakdown“ bollern. Bei „Gallow’s Pole“ meint man, Page förmlich in die Gitarre greifen zu können, „Whole Lotta Love“ schwingt und schwitzt, drängt sich nach vorn, als würde man mit den vieren in einem Raum stehen.

Carson war es, selbst als Musiker bei einigen LedZep-Shows auf der Bühne im Einsatz und ein ehemaliger Labelmann von Atlantic Records, der Page für eine Show in dem von ihm geführten „Heartbreak Hotel“ verpflichtet hatte. Neben „Lucille“ bei diesem schweißtreibenden, unvergesslichen Gig auf der Setlist waren ausnahmslos Rock’n Roll-Classics: Darunter „I Just Wanna Make Love to You“, das an diesem Ort natürlich unverzichtbare und namensgebende „Heartbreak Hotel“, dazu „Baby Please Don’t Go“ und der Beatles-Klassiker „Money“.
Das Bild, was sich den Zuschauern bot, hätte ebenso gut von einem der legendären LedZep-Shows stammen können: Page mit wallender Mähne und schweißtriefendem Hemd, im Anschlag seine legendäre Telecoaster, die er nur für den Song „Lucille“ gegen eine Dan Electro tauschte.
Im Vorfeld des Gigs hatte es zunächst ein paar Unwägbarkeiten gegeben. Stein des Anstoßes war das Plakat. Page fand das von ihm gewählte Bild wohl ein wenig zu „sweaty“ und sich selbst darauf etwas zu aufgelöst.

Ein gutes Stichwort: Denn obwohl genau diese Gründerzeit bald ein gutes halbes Jahrhundert her ist, die Show auf Ibiza auch schon gute drei Dekaden, so sind die Protagonisten und ihre Sounds so aktuell und angesagt wie eh und je. Die unvermeidlichen Fragen nach der Reunion werden von Page gern an Plant verwiesen. Ist der es doch, der zumeist betont – im Gegensatz zu Page, Jones und Bonham jr. – lieber in andere Projekte Zeit investieren zu wollen. Im Herbst etwa erscheint ein neues Album von ihm.
Doch es war genau anlässlich der Vorstellung dieser neuen Platte – ein vielschichtiges Meisterwerk zwischen World, Folk und tiefdunklen TripHop-Sounds – vor einem erlauchten Kreis in einem kleinen Hotel im Londoner Stadtteil Soho, da Page selbst auch die alte Liebe ins Spiel brachte. So schwärmte der Sänger mit der unverändert wilden Mähne bei einem Glas Rotwein davon, wie er am Vortage mit seiner Band eine unfassbare Version des Zep-Klassikers „Black Dog“ gespielt habe. Dabei kam man nicht umhin, ein ganz bestimmtes Funkeln in seinen Augen zu sehen. Es ist wie es ist: Ob 1970 oder 1986 – oder anno 2014 – Led Zeppelin sind und bleiben eine der größten Bands, die die Welt je gesehen hat.
